Der Werdegang der Familie Marson

Kapitel 12.2 : Ein unangenehmer Termin

Svenja hatte immer noch die Latzhose an und hatte es nicht gewagt die Träger zu verstellen. So saß sie auf der Kante ihres Bettes, als ihre Mutter ohne zu klopfen das Zimmer betrat.

„Bist du soweit Svenja, können wir los?“ fragte ihre Mutter als sie sich zu ihrer Tochter ging.

„Ja Mama“ Mehr viel ihr nicht ein, was sollte sie auch vorbereiten? Svenja stand auf und die Naht der Latzhose grub sich wieder in die Pobacken. Automatisch zupfte Svenja seitlich an der Hose um sie nach unten zu ziehen was natürlich vergebens war, da die Träger dagegen arbeiteten. Das viel aber auch ihrer Mutter auf und so stellte sie die Träger etwas lockerer ein und Svenja musste dabei still halten wie es sonst immer bei ihrem kleinen Bruder gemacht wurde.

„So Schatz, lass uns gehen!“ Inga konnte es sich nicht verkneifen ihrer Tochter eine liebevollen Klaps auf den Hintern zu geben. Svenja quittierte das mit einem genervten „Ohh Mama!“

Inga lachte gut gelaunt und sagte zu Svenja, „Schatz, es mag schwer für dich sein, aber die Liebe deiner Eltern musst du nun mal ertragen ob es dir passt oder nicht.“

Inga war der Meinung, dass es mit der Latzhose warm genug draußen sei und Svenja sollte daher keine Jacke anziehen. Dann gingen Mutter und Tochter gemeinsam die zwei Straßen bis zum Haus der Familie Brunnhoff. In der Einfahrt stand noch kein Auto und so hatte Inga die Hoffnung früh genug zu sein. In der Tat wurde die Tür von Verena geöffnet.

„Hallo Frau Marson, hallo Svenja!“ begrüßte Verena die Beiden wenig überrascht.

„Ist deine Mutter schon zuhause?“ fragte Frau Marson direkt.

„Nein, aber sie wird vermutlich jeden Moment kommen, sie ist immer sehr pünktlich.“

„Das ist kein Problem, wir können den kleinen Moment warten.“ sagte Frau Marson, während Svenja teilnahmslos daneben stand und sich wunderte warum Verena nicht nach dem Grund des Besuches fragte.

„Aber kommen Sie doch bitte herein ich möchte nicht unhöflich sein.“ sagte Verena und Svenja wunderte sich immer mehr über ihrer Freundin, sonst war sie Erwachsenen gegenüber nicht so zuvorkommend.

„Ja gerne Verena das ist nett von Dir.“ sagte Frau Marson und Verena führte die Beiden in das Wohnzimmer wo man sich an den Esstisch setzte. Es herrschte ein gespenstische Stille bis es Verena zu blöd wurde und ihre Freundin ansprach, die ja bis dahin noch nichts gesagt hatte.

„Svenja ist bei dir alles in Ordnung, fandest du die Hausaufgaben auch einfach?“ versuchte Verena ein Unterhaltung zu beginnen. Svenja dachte nur „was für eine blöde Frage“ sie musste doch wissen worum es hier ging, sonst hätte sie sicher anders auf den Besuch reagiert. Aber Svenja sagte nur „Ja alles in Ordnung.“

In genau dem Moment kam glücklicherweise eine sehr überraschte Frau Brunnhoff in das Wohnzimmer. „Oh Verena haben wir Besuch?“

„Ja Mama, das ist Svenja aus der Schule und Frau Marson ihre Mutter.“ stellte Verena den Besuch vor.

„Guten Tag Frau Marson wir kennen uns ja von den Elternabenden.“ Dabei gab Frau Brunnhoff Frau Marson die Hand. „Hallo Svenja, wir kennen uns ja auch, du warst ja schon öfter zu Besuch.“ Dann gab sie auch Svenja die Hand.

„Aber Frau Marson, was verschafft mir den die Ehre? Ich hoffe es ist nichts schlimmes passiert?“

„Nein Frau Brunnhoff, meine Tochter hat nur etwas bei Ihnen vergessen und ich möchte sie dabei beaufsichtigen wenn sie es abholte.“ Die Mutter von Verena wurde hellhörig und hat die Situation gleich richtig eingeschätzt, denn es war unwahrscheinlich, dass Svenjas Mutter mitkam um etwas abzuholen und dann auch noch wartete bis die Mutter ihrer Freundin dabei war.

Also sagte sie zu Svenja und Verena gerichtet. „Oh, da bin ich aber mal gespannt meine Damen, was kann denn dass nur sein?“ Frau Brunnhoff hatte zwar keine Ahnung worum es ging, aber das womöglich Beide oder zumindest Svenja etwas ausgefressen hatte war vollkommen klar. Die Formulierung „Beaufsichtigen“ würde Frau Marson nicht ohne Grund gewählt haben.


Svenja würde am liebsten im Boden versinken und traute sich keine der anderen anzusehen. Aber ihre Mutter wollte das sie selbst sagte worum es ging. „Svenja es sind deine Sachen, du musst schon selbst erzählen worum es geht.“ sagte ihre Mutter um sie zum Reden zu bringen.

„Ohh… Mama .. das ist voll peinlich.“ sagte Svenja mit sehr rot angelaufenem Kopf.

„Nein, was ist daran peinlich, außer dass es zeigt das du dich nicht an Absprachen halten kannst?“ Damit wollte Inga ihre Tochter dazu bringen über ihre Latzhose zu reden. Aber da das so offensichtlich nicht funktionierte, machte dann Frau Brunnhoff eine Kompromissvorschlag zu den beiden Mädchen. „Ihr könnt es ja mal hohlen, und wir sprechen dann darüber.“ Ihr Neugier wurde auch immer größer und sie dachte schon an Sexspielzeug oder schlimmeres. Aber bevor Verena und Svenja von Tisch aufstehen konnten um in die Richtung von Verenas Zimmer zu verschwinden, sagte Inga „Ja, das können wir machen, aber ich wäre gerne dabei, damit auch nichts 'verloren' geht.“ Denn Inga hatte die Hoffnung, dass neben der Latzhose noch Kleidung die ihre Tochter zur Schule anziehen wollte im Zimmer von Verena zu finden sei.

Mit dem Einwand war Frau Brunnhoff einverstanden und so gingen alle Vier gemeinsam in das Zimmer von Verena. Dort lag, recht unordentlich hingeworfen unter dem Schreibtisch von Verena, die Latzhose mit der Svenja am Morgen das Elternhaus verlassen hatte. Darunter noch ein eng geschnittene Modejeans und ein für Svenja viel zu kurzes Top. Nachdem Svenja alles an sich genommen hatte war Frau Brunnhoff sehr erleichtert, dass es sich nur um Kleidungsstücke handelte. Aber sie wollte jetzt natürlich die Geschichte dahinter erfahren.

„OK Svenja, aber warum hast du jetzt hier bei Verena Kleidung liegen und vor allem, was ist an den Sachen bitte peinlich?“ wollte jetzt aber endgültig Verenas Mutter wissen.


Svenja fing an zu Stottern. „Ja .. naja .. weil .. ich mich heute Morgen hier umgezogen habe.“ Die beiden Frauen blickten sie erwartungsvoll und fragend nach weiteren Erklärung an. „Ohhh.. manno… Mama .. guck nicht so, du weißt doch warum.“ „Ja Schatz, aber Frau Brunnhoff nicht!“ erwiderte ihre Mutter. Svenja holte tief Luft. „Ich.. ich.. mag nicht mit dieser Latzhose zur Schule gehen“ dabei hielt sie die Latzhose hoch die sie in der Hand hatte. „Aber meine Eltern wollen das ich damit zur Schule gehe und dann habe ich mich hier bei Verena morgens umgezogen.“ Endlich war es raus und Svenja musste nochmal tief durchatmen.

Frau Brunnhoff fragte leicht überrascht bei Svenja nach. „Aber warum möchtest du denn dies schicke Latzhose nicht anziehen, du hast doch jetzt auch eine an? Und neben bei bemerkt sieht die doch echt gut aus. Das steht dir hervorragend.“

Svenja konnte es nicht fassen, nicht nur, dass Verenas Mutter nicht mal darauf eingegangen ist, dass Svenja von ihre Mutter dazu gezwungen wird die Latzhose zu tragen. Nein, sie fand es auch noch „schick“. „Mir gefällt es eben nicht und ich würde gerne etwas anderes anziehen“ sagte Svenja jetzt etwas trotzig. Daraufhin meldete sich aber ihre Mutter zu Wort. „Ja Ja, das Problem, Frau Brunnhoff, ist aber, dass Svenja offensichtlich noch nicht reif genug ist um sich mit 15 Jahren die Kleidung selbst aus zu suchen.“ Dabei nahm sie ihre Tochter das Top aus der Hand und breitete es aus um es in die Höhe zu halten. Dann sprach sie Svenja direkt an. „Svenja wenn du wie ein Flittchen zur Schule gehen möchtest, dann müssen wir das zu deinem Schutz verhindern. Das nennt sich Fürsorgepflicht! Außerdem wenn du dich damit erkältest, habe ich die Arbeit davon.“ Jetzt setzte Frau Brunnhoff noch nach „Ja Svenja, da muss ich deiner Mutter auch recht geben. Du solltest schon etwas ordentliches zur Schule anziehen. Aber das dar ist nicht angemessen.“

Für Svenja war die ganze Angelegenheit so peinlich und demütigend, dass sie sich am liebsten in Luft aufgelöst hätte. Verena fand die Sache total übertrieben, wie die beiden Mütter so eine Kleinigkeit aufgeblasen hatten, aber ihr viel nichts ein um die Situation zu entschärfen.

Inga hatte aber noch ein Anliegen zu klären. „So ihr Beiden, aber eines möchte ich noch wissen. Svenja hat eben 'Morgens' also die Mehrzahl benutzt. Wie lange geht das Ganze denn schon? Und ich möchte ein ehrliche Antwort haben, ich kann auch in der Schule fragen!“ Dabei blickte sie beide Mädchen streng an. Es blieb Svenja nichts anderes übrig, als zu zugeben, dass sie nur einmal mit der Latzhose in der Schule war und sich danach immer bei Verena umgezogen hat. Verena erzählte auch, dass es ihre Idee gewesen war. Worauf ihre Mutter auch enttäuscht von ihr iwar und sagte das sie Svenja damit nicht geholfen hat.


Frau Marson hatte alles erfahren was sie wissen wollte und war mit dem Besuch zufrieden. Sie wollte aber noch mit Frau Brunnhoff unter vier Augen sprechen und somit schickte sie ihre Tochter mit ihren Sachen in der Hand nach Hause. Ihr Vater wäre schon zu Hause und würde sie in Empfang nehmen. Dann setzten sich die beiden Mütter in das Wohnzimmer während Verena auf ihrem Zimmer bleiben sollte.


„Vielen Dank Frau Brunnhoff, dass Sie so verständnisvoll reagiert haben. Wir haben zur Zeit viele Schwierigkeiten mit Svenja. Wir versuchen sie wieder unter unsere Kontrolle zu bringen. Was mitunter merkwürdige Maßnahmen erfordert.“

„Ja Frau Marson, wem sagen Sie das. Es sind halt immer noch Kinder. Ich finde es nicht schlimm wenn sie ihrer Tochter vorschreiben was sie anziehen soll, es ist ja nicht so dass eine Latzhose ein unangemessenes Kleidungsstück für eine 15 Jähriges Mädchen ist.“ sagte Frau Brunnhoff verständnisvoll.

„Ja das sehen wir auch so, aber es steht noch etwas mehr dahinter. Haben Sie schon mal von den Konzept der 'Ausweichfreien Erziehung' gehört?“ Fragte Frau Marson.

„Den Begriff habe ich schon mal gehört, aber mich nicht weiter damit beschäftigt.“ Gab Frau Brunnhoff zu.

„Wir haben das Glück, dass die Schule unsere Kinder ein entsprechendes Förderprogramm anbieten will. Sie finden dazu auf dem Homepage der Schule etwas, im login Bereich für Eltern. Es gibt aber auch ein aufschlussreiches Buch von Dr. Mayer. Das ist der Psychologe den uns das Jugendamt für Svenja empfohlen hat.“ berichtete Frau Marson.

„Das ist ja interessant, aber ich habe auch gehört, dass es sehr streng für die Kinder sein soll.“

„Naja wissen sie, eine gewisse Strenge gibt den Kinder Orientierung und macht ihr Leben einfacher. Das gesamte Konzept besteht aus drei wichtigen Säulen. 1. Gehorsam und Disziplin, das hört sich zuerst immer gemein an, ist es aber nicht. Denn zusammen mit Punkt 2, der Lieben und Zuverlässigkeit der Eltern, haben die Kinder etwas worauf sie sich verlassen können. Es ist natürlich leichter umso früher man damit anfängt. Bei unseren 11 Jährigen Sohn Jens klappt das ganz ausgezeichnet. Er fühlt sich mit seinen stark eingeschränkten Freiheiten auch noch wohl und genießt sein Kindheit weiter. Das Ganze braucht natürlich mehr Zeit und das ist die Dritte Säule. Daher kämpft die Bewegung auch für ein angepasstes Recht zur Volljährigkeit, was wohl diese Woche vom Parlament verabschiedet werden soll. Wenn Svenja erst akzeptiert hat, dass sie die Unbeschwertheit ihre Kindheit noch länger als 3 Jahre haben kann, dann wird auch sie es genießen können.“

Frau Brunnhoff hatte sehr interessiert zugehört, und machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Ja Frau Marson, da haben sie Recht, die Kinder wissen gar nicht was sie an ihrer Kindheit haben. Ich wäre froh gewesen, wenn ich noch ein paar Jahre mehr im Schutz meiner Eltern verbringen hätte können. Ich werde mich mal mit dem Thema beschäftigen und Sie mit Ihrem Mann zum Kaffee einladen.“

„Das ist aber nett, dann kann ich ihnen gerne mehr erzählen, jetzt muss ich aber los. Meine Familie braucht mich.“

Dann verabschiedete sich Inga bei Frau Brunnhoff und ging zurück nach Hause.


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